Lo Còr de la Plana
Polyphone Lieder des ‘Carnaval occitan’
Der Komponist, Autor, Sänger-Poet und künstlerischer Leiter von Lo Còr de la Plana, Manu Théron, gehört zu den charismatischen Persönlichkeiten der Kulturszene seiner Heimatstadt Marseille. Er hat sich dem okzitanischen Liedgut in der Tradition der Trobaires Marselhès verschrieben und seine Mission ist das kulturelle Erbe der Provence – die okzitanische Poesie und Musik lebendig zu halten.
Die okzitanische Sprache gehört zu den ältesten und bedeutenden Regionalsprachen in Frankreich. Sie wurde im Mittelalter vom heutigen Nizza bis Bordeaux, von Katalonien bis ins Piemont gesprochen. Auch die provenzalischen Troubadoure dichteten und sangen in Okzitanisch, das aus dem umgangssprachlichen Latein entstand. Diese Sprache war und ist bis heute Ausdruck der Verwurzelung der Menschen in der Landschaft des Südens, dem Alltagsleben und in der multikulturellen Geschichte der Region.
Anders als im Mittelalter, ist heute jedoch Französisch alleinige Amtssprache im Land, während Okzitanisch lediglich mit Einschränkungen zu den anerkannten Regionalsprachen gehört, da Frankreich die „Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“ nicht ratifiziert hat.
So kommt der Gebrauch der okzitanischen Sprache durch Künstler, Schriftsteller, Philosophen, Musiker und vor allem durch die Jugend einem Statement des Aufbegehrens gegen Staat und Macht gleich. Wer Okzitanisch spricht, verbindet mit der Sprache Kreativität, Offenheit im Denken, Interesse an anderen Kulturen und Gedankenräume.
Die neue okzitanische Kunst- und Kulturszene entstand um 1968 in der Folge der Studentenbewegung in Frankreich. Das das „Nova cançon occitana“, das neue okzitanische Lied wurde für die Jugend des Südens zum Ausdruck ihrer Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit und kultureller Identität. Diese Grundidee trägt bis heute eine breite, phantasiereiche, politisch und sozial engagierte Musikszene, insbesondere in Marseille und Toulouse. Musikalisches Schaffen verstehen diese Künstler als Beitrag zur aktiven Gestaltung der heutigen multikulturellen Gesellschaft, vor allem in den urbanen Zentren Südfrankreichs.
So hat auch die okzitanische Musikbewegung seit nunmehr 50 Jahren einen beachtlichen Stammbaum mit sehr variantenreichen Zweigen hervorgebracht: es gibt die neuen Troubadoure, die mit satirischem Lied und gesungenen Streitgedichten aktiv sind. In den urbanen Zentren der Region Provence-Alpes sind die innovativen Stimmen beheimatet, die sich den antiklerikalen und antimilitaristischen Volks- und Arbeiterlieder widmen. Zu Ihnen gehört auch Manu Théron und Lo Còr de la Plana. International populär wurden die Bands mit tanzbaren Crossover Klängen, zu denen das Massilia Sound System gehört. So ergibt sich eine bunte und dynamische Kunst- und Musikszene, deren unbestrittene Hauptstadt Marseille ist!
Eigentlich besteht Marseille aus 111 Dörfern… sagen zumindest die Marseiller. Jede Ecke der Stadt hat ihr eigenes Gesicht: ständig geht es hin und her zwischen Europa und Arabien, der Provence und Afrika, orientalischem Getümmel und französischer Eleganz. Das macht diesen 2.600 Jahre alten multikulturellen Hotspot zu einer so ganz besonderen Stadt. 2013 hat sie sich als Europäische Kulturhauptstadt herausgeputzt: neue spektakuläre Museen wie die Villa Mediterranee und das MUCEM wurden am Alten Hafen gebaut. Der Zugang in der Stadt zum Meer wurde für die Bewohner geöffnet, indem der Industriehafen neu gestaltet wurde. Und eine große autofreie Promenade wurde angelegt, auf der tagsüber und vor allem abends das Leben pulsiert : kleine Fischkutter verkaufen ihren Fang direkt vom Schiff, die Radsport- und Marathon-Begeisterten laufen dort unter dem Jubel der Massen ins Ziel und die Nachtschwärmer gönnen sich köstliche Bouillabaisse und Pastis in den unzähligen kleinen Restaurants unter den angrenzenden Arkaden.
Die Schattenseite: sozial Schwache wurden aus diesen neu polierten innerstädtischen Bereichen verdrängt. Und hier haben gerade die Künstler und Musiker der neuen okzitanischen Bewegung das Wort ergriffen. Sie haben die öffentliche Debatte über die Zukunft ihrer Stadt, ihre Identität und die Gestaltung ihrer „111 Dörfer“ mit ihren Songs und Aktionen eröffnet, dem Volk eine Stimme gegeben. Ihr Widerstand gegen einige Kulturhauptstadtprojekte war auch eine Form der Neuaneignung ihrer kosmopolitischen Stadt.
Im Herzen der Stadt liegt der Platz „La Plaine“. Er ist Namensgeber des Ensembles: Lo Còr de la Plana. „La Plana“ heißt auf französisch „La Plaine“ was „Plateau“ oder „Fläche“ bedeutet. Dieser große Platz wurde im 13. Jahrhundert angelegt für die Kreuzfahrer, die von dort ins Heilige Land aufbrachen. La Plaine liegt nicht unten in der Stadt an den Ufern des Mittelmeers, sondern auf einem der sieben Hügel im Norden von Marseille. Seit dem Mittelalter hat er eine wechselhafte Geschichte: ursprünglich lag er vor den Stadtmauern, war Truppenübungsplatz, wurde bis ins 19. Jahrhundert Platz für royale Empfänge und militärische Aufmärsche genutzt. Von dort oben führt die große Verbindungsstraße La Canebière seit 1666 hinunter zum Hafen. Ihr Name geht auf das provenzalische ‘canebe’ bzw. dem lateinischen ‘Cannabis’ zurück – auf deutsch: Hanf. Ursprünglich lagen rechts und links der Straße Europas größte Hanffelder. Und der Hanf wurde nicht zur Sinneserweiterung der Anwohner, sondern für die Herstellung der Taue für die zahllosen Schiffe und für die Vertäuung ihrer Ladungen benötigt!
Ab dem 19. Jahrhundert wurde La Plaine dann für gut 100 Jahre zum Kirmesplatz. Heute heißt La Plaine offiziell „Place Jean Jaurès“ in Erinnerung an den sozialistischen Vorkämpfer, der 1914 von Nationalisten ermordet wurde. Im Volksmund spricht man jedoch weiter von La Plaine. Der Platz wird von drei populären Stadtvierteln umgeben und ist der Treffpunkt der Bewohner.
Das Ensemble „Lo Còr de la Plana“ hat sich nach diesem magischen Ort benannt: Der Chor von La Plaine. Und damit ist das Programm neuen okzitanischen Sänger auch schon genannt: sie sind musikalisch-künstlerisches Sprachrohr und nennen unverblümt soziale und politische Mißstände beim Namen.
Das Ensemble bringt passend zur fünften Jahreszeit ein brandneues Programm mit in den Klangkosmos: wiedergefundene, neu arrangierte und eigene polyphone Stücke in der Tradition des „Carnaval occitan“. Populäre Spiritualität, festive Lieder und kritisch-humorvoller musikalischer Protest – das sind die drei Säulen ihres Repertoires und die Seele von Lo Còr de la Plana.
Manu Théron – Gesang, Tamburin und künstlerische Leitung
Rodin Kaufmann – Gesang und Tamburin
Benjamin Novarino-Giana – Gesang und Tamburin
Denis Sampieri – Gesang und Tamburin
Sébastien Spessa – Gesang und Tamburin